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Der Koalitionsvertrag: Agenda 2010+
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- Geschrieben von dirox
- Hauptkategorie: Historische Beiträge
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Abschnitt "I. 2.2 Vorfahrt für junge Menschen" (Seite 22 f.)
Schon die Einleitung gibt Rätsel auf: Wer ist jenes "Wir", welches angeblich "hoch motivierte, kreative Menschen" braucht ?
Bekanntlich richtet sich im Kapitalismus die Einstellung von Arbeitskräften nicht nach gesellschaftlichen Erfordernissen, sondern nach den Bedürfnissen der Wirtschaft. Gerade diese Wirtschaft beweist aber von Jahr zu Jahr mehr, dass sie junge Arbeitskräften immer weniger bedarf - von den anderen Arbeitskräften braucht sie übrigens auch immer weniger.
Nicht verwunderlich sind die aus der falschen Analyse resultierenden falschen Rezepte, die darauf hinauslaufen in zweifelhafte "Qualifizierungen" abzuschieben. Zu den "vermittlungsunterstützenden Leistungen" gehören mit Sicherheit Bewerbungstrainings, deren Auswirkung bestenfalls sein wird, dass die abgelehnten Bewerbungen auf höherem Niveau sind und die Betroffenen wegen der darauf verschwendeten Zeit nicht auf die Idee kommen, dass sie verschaukelt werden.
Daneben sollen die jungen Arbeitslosen einer besonders intensiven Verfolgungsbetreuung unterworfen werden, was als "konsequente Aktivierung" verkauft wird.
Zum Abschluß des Abschnitts wird zum Hohn von den arbeitslosen jungen Menschen auch noch der Abschluß einer "Eingliederungsvereinbarung" und deren Einhaltung verlangt. Offenbar hat sich bei diesen Politikern noch nicht herumgesprochen, dass es sich hierbei um gar keine Vereinbarung handelt, sondern um einen Formenmißbrauch, denn eine Vereinbarung setzt auf beiden Seiten Freiwilligkeit voraus. Die Androhung einer 3-monatigen Leistungsstreichung für den Fall der Verweigerung spricht generell gegen die Freiwilligkeit und stellt eher Nötigung gemäß §240 Strafgesetzbuch dar.
Aber mit der Achtung allgemeiner Rechtsprinzipien, von der Befolgung des Grundgesetzes gar nicht zu reden, sind diese Politiker meilenweit entfernt.
Abschnitt "I. 2.3 Impulse für mehr Beschäftigung von älteren Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmern"(Seite 22 ff.)
Während die Wirtschaft massiv ältere Arbeitskräfte aussondert, träumen die Koalitionspolitiker davon, mit etwas Qualifizierung und Arbeitsförderung dagegen etwas tun zu können. Und das angesichts der Tatsache, dass es in der Häfte aller Betriebe gar keine 50-jährigen Beschäftigten mehr gibt.
Die Höhe des Zynismus ist es, wenn Arbeitslosen ab 58 eine 3-jährige Ausbeutung als 1 EUR Jobber, also Arbeit unter Zwang, als Förderung verkauft wird(Seite 24).
Abschnitt "I. 2.4 Mehr Beschäftigung für gering qualifizierte Menschen - ..."(Seite 25 f.)
Nachdem am Anfang Krokodilstränen vergossen werden über die geringen Chancen von Menschen "mit geringer Qualifikation oder ohne Berufsaschluß", nachdem die gleichen Politiker mit 1 EUR Jobs deren Arbeitsmarktsegment ruiniert haben, fällt den Politikern nur Kombilohn aus Ausweg ein. Aber angeblich wollen sie damit "weder eine dauerhafte Subventionierung von Unternehmen noch ein neues Arbeitsmarktinstrument eingeführen". Wie blauäugig kann(muß) man sein, um es in der BRD-Politik zu etwas zu bringen? Ist das etwa Karrierevoraussetzung ?
Für die Betroffenen verbessert sich dadurch gar nichts, denn sie müssen auch weiterhin bei den Sozialbehörden die Hosen runterlassen.
Sicher ist dagegen, dass das allgemeine Lohnniveau sinkt, sodass die noch Arbeitenden die eigene Lohnsenkung auch noch selber finanzieren müssen.
Abschnitt "I. 2.6 Grundsicherung für Arbeitsuchende (Hartz IV)" (Seite 26 ff.)
Nach dem Selbstlob für die gemeinsamen Hartz IV - Verarmungsgesetze und einer wohl als Beruhigungspille gedachten Angleichung des OST-ALGII an den Westen, kommt es knüppeldick:
Offenbar ist geplant, die Freibeträge für Altersicherung(zur Zeit 200EUR /Lebensjahr) anzuheben und im Gegensatz dazu die ungebundenen Freibeträge(ebenfalls 200 EUR /Lebensjahr) abzusenken ! (Seite 27)
Und um den Druck auf junge Arbeitslose zu erhöhen, werden auch die Eltern eingespannt, denn diese sollen bis zum 25. Lebensjahr generell für ihren Unterhalt aufkommen. (Seite 27)
Ausziehen in eine eigene Wohnung soll sogar nur noch mit Zustimmung des Leistungsträgers zulässig sein ! (Seite 27)
Die Auswirkungen auf den Familienfrieden kann sich jeder ausmalen. Die älteren Arbeitslosen sollten sich nicht in Sicherheit wiegen, denn diese willkürliche Altersgrenze kann mit einem Federstrich erhöht werden.
Die Umkehr der Beweislast bei "eheähnlichen Partnerschaften" soll geprüft werden. Dann müssten die Partner beweisen, nicht gegenseitig für sich einzustehen. Wie das gehen soll, ist ungewiß. (Seite 27)
Leistungsempfänger sollen zur Teilnahme an Telefonabfragen verpflichtet werden.(Seite 29)
Ist man dann verpflichtet die Geheimnummer herauszurücken ?
Oder gibt's ALG II nur noch gegen Nachweis eines Telefonanschlusses ?
Erweiterter Datenabgleich soll verborgene Gelder aufspüren.(Seite 29)
Im Prinzip eine Fortsetzung der Verleumdungskampagne mit anderen Mitteln.
"Personen, die erstmalseinen Antrag auf Leistungen stellen, sollen daher nach Prüfung der individuellen Situation Sofortangebote zur Aufnahme einer Beschäftigung oder Qualifizierung erhalten. Diese Maßnahmen können auch der Überprüfung der Arbeitswilligkeit dienen." (Seite 29)
Von regulären Arbeitsverhältnissen ist verständlicherweise nicht die Rede. Woher sollen die ganzen Stellen auch herkommen? Hier geht es vielmehr um "1 EUR Jobs" bzw. um so zweifelhafte "Qualifizierungen" wie Bewerbungstrainings.
Die Sanktionsmöglichkeiten sind den Koalitionären zu starr, sie wollen ihre ungerechten Verfolgungsmassnahmen flexibel dem Einzelfall anpassen.
Also noch mehr Willkür seitens des Fallmanagers, der immer mehr zum Sklavenaufseher umfunktioniert wird.
Der nutzlose Ombudsrat darf sich freuen, ein weiteres halbes Jahr seine Sitzungsgelder zu kassieren. Als abschließende Proagandamaßnahme soll sein
Abschlußbericht zum 30 Juni 2006 dazu dienen, um "ein Bewusstsein in unserer Bevölkerung zu verankern, das auf Eigenverantwortung, Teilhabe an der Erwerbsarbeit und solidarische Unterstützung der Hilfebedürftigen setzt."(Seite 30).
Tatsächlich geht es darum, den Betroffenen einzureden, dass sie selbst schuld sind. Sie sollen auf Erwerbsarbeit zu jedem Preis konditioniert werden und die solidarische Unterstützung zeichnet sich nach Ansicht der Koalitionspolitiker dadurch aus, die Langzeitarbeitslosen auf absoluter Sparflamme vegetieren zu lassen, damit ihnen jede Erwerbsarbeit als kleineres Übel erscheint.
Für die Einsparung von 2 Milliarden EUR nimmt die neue Koalition die Verschärfung der Altersarmut in Kauf, denn sie will den Zahlbetrag an die Rentenversicherung von derzeit 78 EUR auf 40 EUR senken (-48 %). (Seite 30)
Abschnitt "I. 2.7.1 Kündigungsschutz weiterentwickeln"(Seite 29 f.)
Die Koalitionsparteien entwickeln den Kündigungsschutz weiter, indem sie ihn für einen verlängerten Zeitraum abschaffen ! Angeblich steigt durch die Entrechtung der neu Eingestellten deren Rechstsicherheit.
Wenn die Unternehmen den Betroffenen innerhalb der 24-monatigen Probezeit entlassen, können sie das üble Spiel nach 6-monatiger Wartezeit sogar wiederholen.
Worin der Vorteil dieser unbefristeten Einstellung gegenüber Zeitverträgen für die Beschäftigten bestehen soll, ist unklar.
Abschnitt "II. 2.5 Erbschaftsteuer" (Seite 72)
Die auf den Unternehmenswert entfallenden Steuerschuld soll für jedes
Jahr der Fortführung gemindert und nach 10 Jahren völlig gestrichen werden.
Das führt dazu, dass sich Unternehmenserben kaum noch an der Finanzierung des Staates beteiligen werden. Dabei ist es schon jetzt ein Skandal, dass auf jährlich 200 Milliarden vererbten Vermögens nur 3 Milliarden Erbschaftssteuer (= 1,5%) gezahlt werden.
Die Koalitionspolitiker übersehen auch, dass es Sinn der Erbschaftssteuer ist, große Vermögensansammlungen abzuschmelzen, da die damit einhergehende politische Macht letztendlich demokratiegefährdend ist.
Die Vermögenssteuer kommt im ganzen Vertrag nicht vor. Offenbar möchten die Koalitionäre die Reichen nicht belästigen.
Der gesamte Koalitionsvertrag weist eine deutliche Schieflage zu Lasten der ärmeren Bevölkerungsschichten auf. Besonders die Arbeitslosen werden zusätzlich belastet. Herausgekommen ist eine "Agenda 2010+".