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Fünf Millionen Menschen in Deutschland suchen Arbeit. Wirklich? Und welche?
Auf einer Tagung der Hanns Martin Schleyer-Stiftung zur Weiterentwicklung von Hartz IV machten Ökonomen und Arbeitsmarktexperten in Berlin Vorschläge, wie Langzeitarbeitslose auch ohne reguläre Jobs zu beschäftigen wären. Nicht bei allen Betroffenen dürften die Anregungen auf große Gegenliebe stoßen - nur bei denen, denen wirklich alles lieber ist als Nichtstun.
Das brisanteste Modell präsentierte der Direktor für Arbeitsmarktpolitik am Bonner IZA-Forschungsinstitut zur Zukunft der Arbeit, Hilmar Schneider. Er will mit Arbeitslosen-Auktionen Billiglöhner an den Mann bringen. Das stellt Schneider sich so vor: "Das Sozialamt schreibt ein Angebot für 80 arbeitslose Arbeitskräfte aus. Dann kann jeder bieten, ob Unternehmen oder Privathaushalt. Wer zum Beispiel Leute braucht, die ihm den Keller entrümpeln, gibt an, welchen Stundenlohn er dafür zu zahlen bereit ist. Das höchste Gebot gewinnt."

Für die Arbeitslosen ist unerheblich, welcher Lohn tatsächlich gezahlt wird - sie erhalten weiter nur ihr Arbeitslosengeld II. Die Erlöse aus der Versteigerung fließen der öffentlichen Hand zu. Möglicherweise ein Weg, die horrenden Ausgaben für das Alg II zu mindern, das den Bund im vergangenen Jahr 25 Milliarden Euro kostete.

Auf eine massive Ausweitung der Ein-Euro-Jobs setzt der Wirtschaftsweise Wolfgang Franz. Das Mitglied des Sachverständigenrats, der die Bundesregierung in ökonomischen Fragen berät, will sie auch in Privatunternehmen zulassen. Bisher dürfen Ein-Euro-Jobber nur gemeinnützige Tätigkeiten übernehmen, für die sonst kein Geld da wäre. Dahinter steht die Befürchtung, dass die billigen Arbeitskräfte regulär Beschäftigte verdrängen könnten.

Franz hält diese Sorge für übertrieben. Man solle die Gefahr von Verdrängungseffekten nicht überbetonen, rät er. Sollte eine Kommune tatsächlich einen Gärtner entlassen, weil ein Euro-Jobber seine Arbeit billiger mache, so entstehe dadurch schließlich eine Ersparnis. Für die stelle die Gemeinde möglicherweise anderswo jemanden ein. Es dürfte Franz schwer fallen, unter Beschäftigten des öffentlichen Dienstes viele Anhänger dieser Sichtweise hinter sich zu scharen.

Als die rot-grüne Bundesregierung die Ein-Euro-Jobs für Langzeitarbeitslose im vergangenen Jahr einführte, wollte sie sie auf breiter Front einsetzen. Der damalige Wirtschafts- und Arbeitsminister Wolfgang Clement (SPD) hielt 600 000 solcher Arbeitsgelegenheiten für möglich. Im Januar waren es 250 000; die Mikro-Jobs sind damit bereits das am meisten genutzte Instrument zur Ersatzbeschäftigung Arbeitsloser.

Franz plädiert auch dafür, ihre Dauer auszuweiten. Zurzeit sind sie auf sechs Monate befristet. Dem Wirtschaftsweisen schwebt eher ein Jahr vor. Und er will die Kosten der Ein-Euro-Jobs auf die abwälzen, die von ihnen profitieren: "Dafür schlagen wir vor, dass die Träger dieser Arbeitsgelegenheiten diese Mehraufwandsentschädigungen zahlen." Die ein bis zwei Euro Bezahlung pro Stunde, die den Jobs ihren Namen gaben, heißen im Bürokratendeutsch "Mehraufwandsentschädigung". Zurzeit kommen sie aus dem Hartz-IV-Topf. Auch hier könnte der Bund also sparen, wenn er die Anregung seines Ratgebers Franz aufgreift.

Ganz ohne zusätzliche Bezahlung sollen Arbeitslose nach dem Willen von Steffen Roth auskommen, wenn sie eine gemeinnützige Ersatzbeschäftigung annehmen. Der Geschäftsführer des Otto-Wolff-Instituts für Wirtschaftsforschung versteht seine Idee als Angebot an alle, "die sich fair verhalten" und für ihr Alg II eine Gegenleistung erbringen möchten. Dafür sollen weder bei der Wochenarbeitszeit noch bei der Art der Tätigkeit die Einschränkungen gelten, mit denen Ein-Euro-Jobs zurzeit noch belegt sind.

Roth will die Teilnehmer - anders als Ein-Euro-Jobber - weiterhin als Arbeitslose zählen lassen und gibt damit einen Hinweis darauf, warum die Politik sich für seinen Vorschlag möglicherweise nicht erwärmen wird: "Die Statistik wird nicht geschönt." Außerdem gibt er freimütig zu: "Es ist einfach ein bisschen naiv, was wir da machen. Wir glauben einfach, dass es den einen oder anderen Gutwilligen noch gibt."

Da hat Peter Clever, Vize-Vorsitzender des Verwaltungsrats der Bundesagentur für Arbeit (BA), seit der Einführung von Hartz IV auch andere Erfahrungen gemacht. Er berichtet, dass inzwischen Leute die Hand aufhalten, die sich früher beim Sozialamt nicht hätten blicken lassen. Junge Juristen zum Beispiel hätten "überhaupt keine Skrupel", sich im Anschluss an das Studium Alg II auszahlen zu lassen, nachdem sie sich "steuerlich arm gerechnet" hätten.
Quelle: FOCUS, 15.02.2006