Wöchentliche Treffen

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Nein, der Sommer 2005 soll sich nicht wiederholen. Seit den Montagsdemonstrationen ist man vorsichtiger geworden. Es geht darum, die Kosten für Hartz IV deutlich zu senken, ohne breiten Protest zu provozieren. Eine einfache Kürzung des Regelsatzes - »wissenschaftlich« durch entsprechende Studien vorbereitet - wurde deshalb schon früh verworfen. Die klassische Salamitaktik ist zurückgekehrt. Der Test war die Kürzung des ALG II für Jugendliche unter 25 Jahren. Der Widerstand war gering. Nun wird mit dem Gesetz zur »Optimierung« des Sozialgesetzbuches II nachgezogen. Ein Papier der Bundesregierung zu den »Vorgesehenen Änderungen« ist am Wochenende bekannt geworden. Auf 45 Seiten finden sich die Lektionen ausgebreitet, die die Regierenden in einem Jahr Hartz IV gelernt haben. Gleich die erste der geplanten Änderungen spiegelt einen zentralen Erfolg der Sozialproteste wider. Hatten doch die Demonstrationen gegen die Agenda 2010 die Vorstellung einer selbstverschuldeten Erwerbslosigkeit und Armut gründlich erschüttert. Sie bereiteten damit den Boden dafür, daß weit mehr Menschen ALG II beantragten, als von der Regierung beabsichtigt. Trotz aller Repression, die mit Hartz IV verbunden ist, gelang es nicht, die verbreitete Stigmatisierung von Sozialhilfeempfängern auf alle Empfänger des ALG II zu übertragen. So meldeten sich vor allem aus dem Kreis jener, die früher den Gang zum Sozialamt auf jeden Fall vermeiden wollten - etwa gescheiterte Selbständige oder Freiberufler - nun viele bei den Jobcentern, um ihr Recht wahrzunehmen. Das entstandene Problem umschreibt die Parlamentsvorlage wie folgt: »Die Zahl der erwerbsfähigen Hilfebedürftigen belief sich im Januar 2006 nach vorläufigen Angaben auf 5037169.« Die Antwort: Solchen Menschen, die erstmalig Leistungen beantragen, sollen künftig sofort »Eingliederungsangebote« unterbreitet werden, um »die Bereitschaft des Hilfesuchenden zur Arbeitsaufnahme zu überprüfen.« Welche Angebote da unterbreitet werden sollen, ist kein Geheimnis: Mehr als Ein-Euro-Jobs haben die meisten Jobcenter nicht im Angebot. Man setzt auf Abschreckung von Anfang an.

Ein zweites Problem: Die vom Amt postulierten »Bedarfsgemeinschaften« haben sich in vielen Fällen als nicht nachweisbar erwiesen. Nun soll - nicht zum ersten Mal - die Beweislast umgekehrt werden. Ob es der Regierung gelingt, diesen tiefen Eingriff gerichtsfest zu formulieren, darf bezweifelt werden. Leider muß aber ebenso bezweifelt werden, daß ein schwebendes Verfahren die Jobcenter in ihrem Ermittlungs- und Kürzungseifer stoppen wird. Wie immer werden nur die widerständigen und qualifizierten Erwerbslosen ihre Rechte weitgehend durchsetzen können. Doch auch ihnen wird das Leben schwerer gemacht. Künftig soll eine Vielzahl anderer Sozialleistungen mit dem ALG II verrechnet werden. Strom- und Warmwasserkosten - mancherorts den Unterkunftskosten zugeschlagen - werden bundeseinheitlich als Teil des Regelsatzes definiert.
Nicht moralische, nur technische Grenzen können die parlamentarischen Sozialräuber der SPD und CDU beeindrucken. So wird sich die ebenfalls geplante »Gleichbehandlung« gleichgeschlechtlicher Lebenspartnerschaften bei den Sozialkürzungen nicht so rasch realisieren lassen, denn die verwendete Software A2LL ist offenbar heterosexuell fixiert. Bevor potentielle gleichgeschlechtliche Paare identifiziert werden können, ist eine Umprogrammierung erforderlich. »Zeitbedarf muß geklärt werden«, heißt es in der Vorlage.


Den technischen Charakter auch des Gesetzgebungsverfahrens bringt eine wiederkehrende Formel auf den Punkt, in der es heißt: »Bei diesem Regelungsvorschlag handelt es sich lediglich um eine gesetzliche Klarstellung der bisher durch Weisungslage bestimmten Vollzugspraxis.« Darum geht es: den Ämtern die Hände freizumachen, damit sie die Erpressung der Betroffenen optimieren können. Dazu sollen der Datenschutz massiv eingeschränkt und Auskünfte »zur Einkommens- und Vermögenssituation oder zu Unterhaltsansprüchen« aus der Zeit vor der Antragstellung zur Pflicht gemacht werden. Damit die Erpressung aber wirken kann, sind auch neue materielle Hebel nötig. Künftig soll nach einer ersten Sanktion bei einer weiteren »Pflichtverletzung« im Verlaufe eines Jahres sogleich eine Sanktion zweiter Stufe verhängt werden können: »Dies würde bedeuten, daß zum Beispiel jemand, der nach Ablehnung der Eingliederungsvereinbarung zunächst von einer dreimonatigen Absenkung um 30 Prozent betroffen war, bei einer folgenden unbegründeten Arbeitsablehnung innerhalb eines Jahres mit einer Absenkung um 60 Prozent sanktioniert werden würde.«

Aus der Geschichte der Sozialpolitik im Kapitalismus ist bekannt, daß die Höhe der Sozialetats von zwei Faktoren bestimmt wird: den jeweils zugebilligten Leistungen und den diskriminierenden Bedingungen, an die sie geknüpft sind. Diese Bundesregierung hat sich entschlossen, sich auf den zweiten Faktor zu konzentrieren. Auch dagegen muß klug und breit mobilisiert werden: Eine für den 3. Juni in Berlin geplante Demonstration ist ein Zählappell - für beide Seiten !