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Wenn es um Hartz IV geht, kochen in der SPD-Fraktion schon mal die Emotionen hoch. So geschehen zum Beispiel am Dienstag in der Fraktionssitzung. Diskutiert wurde dort das Optimierungsgesetz zu der umstrittenen Arbeitsmarktreform, die für den Staat seit ihrer Einführung um Milliarden teurer geworden ist als ursprünglich vorgesehen. Der Arbeitsmarktpolitiker Ottmar Schreiner nahm dies zum Anlass einer umfassenden Abrechnung mit dem zentralen Reformwerk der rot-grünen Regierung. Hartz IV habe unter beschäftigungspolitischen Gesichtspunkten komplett versagt, schimpfte Schreiner. Die eingeführten Instrumente würden nun klammheimlich beerdigt. Von den Personal-Service-Agenturen, die einst als Herzstück der Reform gegolten hätten, sei schon lange keine Rede mehr. Die Ich-AGs würden soeben abgeschafft. Überlebt hätten nur die Ein-Euro-Jobs, die jedoch in keiner Weise dazu beitrügen, Arbeitslose in den ersten Arbeitsmarkt zu integrieren, hielt er der versammelten Fraktion und insbesondere dem Arbeitsminister vor.
Was man brauche, sei eine komplette Neuordnung der Beschäftigungspolitik und nicht ein Gesetz, das nur an den Symptomen herumdoktere und zudem Hartz-IV-Empfänger einer stärkeren Kontrolle unterwerfe als Steuerbetrüger, forderte der als streitbarer Linker bekannte SPD-Politiker außerdem.
Damit hatte er die Nerven von Franz Müntefering jedoch offenbar überstrapaziert. Schreiner sei ein "Obermoralisierer", bolzte der Arbeitsminister zurück. Um dann einen Satz zu zitieren, der die Gemüter nicht beruhigte. "Nur wer arbeitet, soll auch essen", sagte der Arbeitsminister. Eine Erläuterung, die in der Fraktion nicht besonders gut ankam.
Der Parlamentarische Geschäftsführer, Olaf Scholz, war am Mittwoch bemüht, die Wogen zu glätten. Müntefering habe lediglich eine Weisheit aus den frühen Tagen der Sozialdemokratie zitiert, sagte er. Dies habe er auch selbst so gesagt. Ottmar Schreiner findet dennoch: "Im Anbetracht von fünf Millionen Arbeitslosen ist das zumindest äußerst missverständlich."
Auch die Parlamentarische Geschäftsführerin der SPD, Iris Gleicke, sagte : "Ich hätte so einen Satz nicht gesagt." Sie räumte aber ein, es bestehe natürlich das Problem, dass derzeit Menschen, die nicht arbeiteten, mitunter ein höheres Einkommen hätten als solche, die einer geregelten Tätigkeit nachgingen.
Ob Ottmar Schreiner mit seinem Appell allerdings wirklich eine grundsätzliche Debatte über eine andere Beschäftigungspolitik auslösen kann, ist eher fraglich. Zwar hätten mehrere Genossen ihn nach der Sitzung in seinem Anliegen bestärkt. Vorerst wird man sich jedoch darauf beschränken, das Hartz -IV-Optimierungsgesetz noch optimaler zu machen. Als ersten Schritt hat man dem Kind einen neuen Namen gegeben. Es heißt jetzt positiv "Gesetz zur Fortentwicklung der Grundsicherung für Arbeitssuchende" und wird am Donnerstag in den Bundestag eingebracht.
Änderungen werden in der Fraktion vor allem im Hinblick auf die Behandlung von Bedarfsgemeinschaften gefordert. So muss beispielsweise derzeit ein Partner auch für die Kinder seines Lebenspartners aufkommen, wenn dieser arbeitslos ist, ohne jedoch dafür steuerliche Vorteile in Anspruch nehmen zu können, wie dies ein leiblicher Vater könnte. Hartz IV sei ein gelungenes Gesamtwerk, das nun nur noch ein wenig poliert werden müsse, sagte Scholz. Schreiner dürfte wohl nicht der einzige in der SPD-Fraktion sein, der das völlig anders sieht.
Im Übrigen entlädt sich der Unmut der Fraktion über die großkoalitionäre Politik gegenwärtig nicht nur an Hartz IV. "Wir werden beim Parteitag sicher eine Steuerdebatte bekommen", kündigte der Juso-Vorsitzende Björn Böhning am Mittwoch an. Im Mittelpunkt würden dabei Unternehmenssteuer und Reichensteuer stehen, bei der die Linken Steinbrücks Vorgehen kritisieren. "Statt einer Rumpfsteuer brauchen wir eine wirkliche Reichensteuer, die auch gewerbliche Einkünfte einbezieht."
Vielleicht tröstet es die Fraktionsführung ja, dass es auch bei der Union während der letzten Fraktionssitzung nicht friedlicher zuging. Dort wurde heftig vor allem über das Antidiskriminierungsgesetz gestritten, das von vielen als ein zu großes Zugeständnis an die SPD gewertet wird, ebenso wie die Einführung einer Reichensteuer. Die Große Koalition, sie scheint beiden Fraktionen derzeit nicht allzu viel Spaß zu machen.

Quelle: ZEIT online, 10.5.2006