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Ein kurzer Leitfaden für angehende Arme
- Details
- Geschrieben von Schinderhannes
- Hauptkategorie: Historische Beiträge
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Wenn Du arm geboren wurdest, dann kennst Du das gute Leben nicht. Deine Armut ist schlimm. Aber Du konntest das Kämpfen von klein auf lernen. Wenn Du den Luxus eines Autos, frischen Gemüses und Fleisches, eines Theater- oder Kinobesuches kennst, trifft Dich die Armut umso härter. Glaub mir. Vielleicht fragst Du Dich, weshalb ich arm geworden bin. Nun, die Umstände sind uninteressant. Jeder Arme hat seine eigene Geschichte. Und die tut kaum etwas zur Sache.
Ein gegebener Anlass um einen kurzen Leitfaden für angehende Arme hier zu präsentieren. Quasi eine kleine Vorwarnung, was Dich so erwarten wird.
Verabschiede Dich als erstes von Fachgeschäften oder Supermärkten mit Markenartikeln. Aldi wird Dein neuer Gourmettempel sein. Aber auch dort wirst Du Dich ausschließlich auf das B-Sortiment beschränken müssen. Mortadella oder Lachsschinken? Vergiss es: Cervelat-Aufschnitt und Schmelzkäse heißen Deine neuen Tellerfreunde.
Du wirst an Gewicht zunehmen. Ja, ich weiß. Das hört sich paradox an. Wo man bei Armen doch immer an ausgemergelte Menschen denkt. Nein, ganz falsch. Überleg mal:
1 Salatkopf = 60 Cent (dann aber sehr günstig)
2 Tomaten = 60 Cent
Essig = 30 Cent
Öl = 1 Euro
——
Macht zusammen: 2,50 Euro.
Sättigkeitsfaktor: max. 4 Stunden.
Für 2,50 bekommst Du 3 Packungen Nudeln mit Fertigsosse, also fast 5 große Portionen. Sättigkeitsfaktor: 1 Tag (Übelkeit inklusive).
Alternativ bekommt man für 2,50 Euro ein Schnittbrot a 50 cent und 2 Packungen Cervelat-Aufschnitt. Das reicht locker für einen Tag.
Merke: Auch Schokolade macht ziemlich satt. Und Fett-sein hat als Armer auch Vorteile, denn…
…verabschiede Dich von Deinem Auto. Und von öfftenlichen Verkehrsmitteln. 2,10 für eine Straßenbahnfahrkarte (einfach) ist größter Luxus und nur noch dann akzeptabel, wenn Du zum Arbeitsamt/Jobcenter fahren musst. Spare schon mal vor, Fahrtkosten werden nämlich erst ab 6,00 Euro ersetzt. Da Du als Armer schön dick wirst, spielt das auch keine Rolle mehr, Du wirst das Haus kaum noch verlassen. Wozu auch? Shoppen, Einkaufen, Weggehen, Kino, all das kommt in Zukunft für Dich nicht mehr in Frage. Und so fett wie Du werden wirst, willst Du Dich der Öffentlichkeit nicht mehr präsentieren.
Du wirst Freunde verlieren. Besonders die, die sich gerne selbst eingeladen haben, als Du noch reich warst. Achtung: Du kannst nicht vorhersehen, auf welche Menschen Du Dich wirklich verlassen kannst! Rechne mit dem Schlimmsten. Es können Dich beste Freunde enttäuschen. Auch gute und ehrliche Freunde werden Dir den Rücken kehren. Spätestens wenn Du bei der 3. Frage. ob Du mit ins Kino gehen möchtest aus Scham sagst: Nö, ich hab keine Lust.
Du hast einen Kredit laufen? Nun, informiere Dich schon mal vorab, welche Konsequenzen ein Offenbarungseid hat und wie der Gerichtsvollzieher Deines Bezirks heißt. Sei nett zu ihm/ihr. Er/Sie kann nichts dafür. Sind auch nur Menschen. Pfändung ist nicht das Schlimmste. Man hängt ohnehin viel zu sehr an materiellen Dingen.
Du wirst weniger und/oder recht ausgefallenen Sex haben. Ein Verhütungsmittel (z.B. Pille) kannst Du Dir nicht mehr leisten. Kondome musst Du einteilen. Da Sexspielzeug unpfändbar ist, kannst Du darauf zurückgreifen oder Deine Experimentierfreude mit ungewöhnlichen Stellungen und Praktiken unter Beweis stellen.
Du wirst einen Imagewandel durchleben. Ab jetzt bist Du der Asso. Sobald Du den Fernseher einschaltest oder die Zeitung aufschlägst, wird die Volksmeinung auf Dich niederprasseln. Du bist ein Sozialschmarotzer, eine faule Sau, Du solltest für nen Euro arbeiten, zur Feldarbeit eingeteilt werden (damit Du weißt, wofür Du studiert hast) oder an Maßnahmen teilnehmen, die Dir beibringen, wie Du Word öffnest und Deinen Namen eintippst (Dein Informatikstudium interessiert dabei niemanden, Dein Beruf ist für den Arbeitsvermittle/Staat/Mitbürger und Ankläger nämlich völlig irrelevant).
Kleidung kannst Du ab jetzt nicht mehr kaufen. Es ist von Vorteil, wenn Du als reicher Mensch ein Shopping-Junkie warst und über einen gefüllten Kleiderschrank verfügst. Dummerweise wird Dir vieles nicht mehr passen, weil Du, wie bereits erwähnt, Speck ansetzen wirst. Trenn ein paar Nähte an Stellen, die verdeckt sind (z.B. Hosenbund) auf. Knöpfe kannst Du durch Kordeln oder große Sicherheitsnadeln ersetzen, das verschafft Dir zumindest kurzfristig etwas Spielraum. Verabschiede Dich von Mode! Vergiss am besten, was dieses Wort bedeutet!
Dein Wesen wird sich verändern. Moral und Ethik werden Dir sehr zweitrangig erscheinen. Du hast keine Skrupel mehr, schwarz zu arbeiten, wenn Dir die Stadtwerke mit ner Jahresabschlagszahlung von 200 Euro im Nacken sitzen. Es juckt Dich nicht, an der Uni oder sonstwo Toilettenpapier zu stehlen und Deine Großzügigkeit wird sich in schlimmsten Geiz verkehren (Freunde/Bekannte sollen zum Essen bleiben? Nein, nicht wenn Du dafür den Rest der Woche hungern musst. Glaub mir, das machst Du einmal, und dann nie wieder).
Du wirst sehr kreativ und einfallsreich werden. Die Bedeutung des Sprichworts Not macht erfinderisch wird sich Dir in ihrem gesamten Spektrum erschließen. Ob das in der Küche ist, wo Du aus Mehl, Hefe, Wasser und Tomatenmark ne Pizza zaubern wirst, im Haushalt, wo Du die Wiederverwendbarkeit von Staubsaugerbeutel oder gar den klassischen Besen wiederentdeckst oder ob Du plötzlich Parties nur noch mit Tupperdosen aufsuchst, Du wirst sehr schnell herausfinden, daß auch in Dir eine kreative Ader steckt.
Geduld und Genügsamkeit werden Deine neuen Tugenden werden. Du wirst in zwei Jahren max. 2x zu einem Gespräch mit Deinem Berater vorgelassen. Wenn Du Glück hast, ist es zweimal dieselbe Person. Für das Gespräch über Dein Leben und Deine Zukunft musst Du ca. 10 Minuten einplanen. Mehr Zeit kann Dein Berater leider nicht erübrigen.
Du wirst vermutlich Haarausfall bekommen und/oder Dein Hautbild wird sich verschlechtern. Naja, zwei Jahre Billigfraß gehen nicht spurlos an Dir vorüber. Richte Dich auch darauf ein, daß sich Deine Lebenszeit insgesamt etwas verkürzt. Was aber auch daran liegt, daß…
…Du von jetzt an weniger und schlechter schlafen wirst. Du wirst Dich abends mit Sorgen quälen, Dich im Bett hin- und herwälzen, manchmal bitterlich weinen, manchmal nervös sein, manchmal mit Selbstmordgedanken spielen. Du wirst Alpträume von einem Gerichtsvollziehermonster haben, das Dir die Haut vom Leib pfändet. Und…
…Du wirst häufiger krank sein. Dein Körper wird alleine damit klarkommen müssen. Die 10 Euro für den Arzt investiert Du lieber in ein paar Orangen. Eine Apotheke wirst Du die nächste Zeit nicht mehr besuchen können. Solltest Du ein Rezept vom Arzt bekommen, kannst Du es an den Kühlschrank kleben. Die Zuzahlung kannst Du Dir ohnehin nicht leisten…
…außer Du nimmst an einer medizinischen Studie teil. Z.B. weil die jährliche Betriebskostenabrechnung ins Haus steht, die Telefonrechnung bezahlt werden muss oder Du ein neues Paar Schuhe brauchst.
Du wirst Dein Kapitalvermögen anhand von Pfandflaschen messen.
Du wirst Dich an einen anderen Umgangston gewöhnen müssen. Man wird Dich ab jetzt wie ein widerwärtiges Furunkel behandeln. Du musst also lernen, mit schnippischen Bemerkungen, versteckten Beleidigungen, wahllosen Unterstellungen, ironischem Unter- und kasernenähnlichem Befehlston umzugehen.
Gewöhne Dir in jedem Fall an zu lügen. Gib niemals zu, daß Du Arbeitslosengeld und/oder Hartz IV beziehst!
Und wenn es Dir so richtig schlecht geht, dann komm zur Montagsdemo. Ich kann Dich verstehen, ich hab’s selbst mitgemacht. Ich weiß, wie beschissen das ist. Da hat ein offenes Ohr für Dich.
Danke Katja für den Text.